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Toxic Triangle -- Über Männlichkeit, Macht und Medien.

Autorenbild: Maike StemmlerMaike Stemmler

KW4, Blick auf mein Smartphone: Olaf Scholz, Friedrich Merz, Elon Musk, Donald Trump. Meine Timeline ist voller mächtiger Männer, die Migration mit Sicherheit vermischen. Die sich in Duellen darum streiten, wer Staatsausgaben besser vorrechnen kann. Und die in Windeseile einen demokratischen Staat von innen abbauen. Ich fühle mich medial und politisch übermannt. 


/Schnitt/


Es ist Ende Januar in Berlin und der Himmel ist grau, als ich bei leichtem Gegenwind über die Schillingbrücke laufe. In meiner Doppelidentität als Medienwissenschaftlerin und politische Bildnerin bin ich beim Journalismustag von ver.di zu “Demokratie im Krisenmodus”. Ich bin richtig vorfreudig und habe Lust, mich mal wieder auf einer Metaebene mit journalistischem Arbeiten zu beschäftigen. Besonders in Erinnerung bleiben wird mir die Podiumsdiskussion darüber, wie Journalist*innen mit demokratiefeindlichen Akteur*innen und potenzieller Reproduktion populistischer Äußerungen umgehen (sollen). Der Grund: Ich habe beim Zuhören neue Zusammenhänge verstanden, aber auch eine Lücke entdeckt, über die niemand zu stolpern scheint. Um genau diese soll es jetzt gehen. 


Keine Machtkritik ohne Männlichkeitskritik 

Die Frage, ob und wie Journalist*innen über rechte Akteur*innen und Rechtsextremismus berichten sollen, hat Historie und wird dennoch immer wieder aufs Neue besprochen. Die Moderatorin Lea Eichhorn fragt aufgrund dessen die Publizistin und Autorin Gilda Sahebi, woran das liegen könnte. Sahebi erklärt daraufhin das wechselseitige Verhältnis von Politik und Medien, verweist auf verkrustete Narrative in der Berichterstattung und mahnt, dass es Journalist*innen an Machtkritik fehle. Ich nicke, notiere und umkreise mehrfach: 'Machtkritik'; ein zentraler Aspekt, der in der kritischen Auseinandersetzung mit Medienarbeit eher selten genannt wird. Journalist und Autor René Martens stellt daraufhin die sich für mich logisch anschließende Frage, ob Journalismus als Struktur überhaupt machtkritisch sein wolle? Denn Journalismus sei machtnah und habe demnach kein Interesse daran, Strukturen aufzubrechen, die das System selbst erhalten. Fragezeichen.


Die Diskussion nimmt die nächste Abzweigung und ich wundere mich: Wenn wir über journalistische Machtkritik reden, müssen wir auch über journalistische Männlichkeitskritik sprechen. Es ist notwendig. Doch niemand tut es.* Warum?


Warum müssen wir kritisch über Macht und Männlichkeit sprechen? 

Wir nähern uns einer Antwort auf die Frage in zwei Schritten und schauen uns zunächst M1 'Männlichkeit’ und M2 ‘Macht’ an. Die Perspektive Journalismus lassen wir erstmal außen vor. 

Erstens: Männlichkeit hat negative Konsequenzen, insbesondere für Frauen und queere Menschen. Beispielsweise tötete im Jahr 2023 beinahe jeden Tag ein Mann seine (Ex-)Partner*in. Darüber hinaus kostet schädigendes männliches Verhalten die Gesellschaft jährlich 63 Milliarden Euro mehr. Es geht um Geld, das z.B. für Gefängnisaufenthalte, Suchtbehandlungen und Verkehrsunfälle von Männern zusätzlich verwendet werden muss. Männlichkeit schadet Männern selbst. 


Zweitens: Macht und Männlichkeit sind best buddies. Männer hören Männern zu. Männer geben Männern Geld. Macht und Männlichkeit wirken besonders da, wo Entscheidungen getroffen werden, zum Beispiel in der Politik. Raewyn Connell hat in diesem Zusammenhang das Konzept “Hegemoniale Männlichkeit” geprägt, das die “gesellschaftliche Verknüpfung von Männlichkeit und Macht bzw. Herrschaft betont” (2015, 10). Hegemonial bedeutet, eine dominante Stellung zu haben, der sich andere mit einer gewissen Selbstverständlichkeit anpassen oder unterordnen. So entsteht eine ungleiche Hierarchie. Es geht also zum Beispiel darum, wer wann und wie viel spricht? Wer bekommt wofür wie viel Geld? Wer nimmt sich welchen Raum? Für wen sind Städte gebaut? Für wen sind Gesetze gemacht? Und im Umkehrschluss: Wer wird bei all diesen Entscheidungen nicht mitgedacht? Die Norm wird (oft) zum machtkritischen Problem, nicht die Abweichung davon.


too obvious to see 

Wenn die Gründe für die Notwendigkeit einer kritischen Betrachtung von Männlichkeit so klar auf der Hand liegen, warum fällt es dann so schwer? Männlichkeit ist allgegenwärtig, selbstverständlich und darüber hinaus dynamisch. Das hat zur Folge, dass die Bedeutung von Männlichkeit sich stetig verändert und immer wieder neu hinterfragt werden muss. Die Gleichzeitigkeit aus konservierendem Machterhalt und dynamischer Weiterentwicklung erschwert es jedoch, Männlichkeit zu (er)fassen. Männlichkeit ist immer da und immer anders. Dadurch ist Männlichkeit als Norm in ihrer Dominanz beinahe subtil.  


Darüber hinaus gibt es oft starke Reaktionen, wenn Männlichkeit in Debatten nur erwähnt wird. Menschen, ähm Männer (scusi boys 😘), fühlen sich davon oft schnell angegriffen. Die strukturelle Perspektive auf Männlichkeit trifft auf ihr identitätsstiftendes Verständnis davon, weshalb sie den Impuls verspüren, sich persönlich zu wehren, auch wenn es gar nicht um sie geht. Männlichkeit in Frage zu stellen beinhaltet, auf Privilegien hinzuweisen, womit ein potenzieller Machtverlust einhergeht. Wer will das schon? (lol)  


Medien, ihr seid gefragt! 

Last but not least fehlt uns noch M3 - die ‘Medien’. Wir holen an dieser Stelle die Perspektive des Journalismus wieder mit rein, also bleibt dran. Medien haben erstmal kein allzu starkes Interesse daran, Männlichkeitskritik zu üben. Dabei kommt Journalist*innen in einer demokratischen Gesellschaft qua Funktion eine elementare Aufgabe zu, weil sie als zentrale Leistung Öffentlichkeit herstellen. Sie fungieren quasi als Multiplikator*innen für Informationen, indem sie Komplexität reduzieren und durch die Auswahl von Informationen über ihre Relevanz für den Diskurs entscheiden. Welche Themen auf welche Art und Weise also öffentlich besprochen werden, entscheidet der binäre Code Information/Nicht-Information, der durch Nachrichtenfaktoren beeinflusst ist. Ich frage mich: Was ist eine Nachricht (wert)? Für wen wird Öffentlichkeit hergestellt? Und für wen nicht? 


Post vom 10.02.25, einen Tag nach dem TV-Duell Scholz gegen Merz und zwei Wochen vor der Bundestagswahl
Post vom 10.02.25, einen Tag nach dem TV-Duell Scholz gegen Merz und zwei Wochen vor der Bundestagswahl

Journalist*innen haben eine Verantwortung. Sie prägen die Wahrnehmung der Öffentlichkeit, setzen Themen, fragen nach und ordnen Zusammenhänge ein. Es fehlt dem Werkzeugkoffer der journalistischen Analyse aber ein bestimmtes Tool: Der Hebel Männlichkeitskritik.**


Für Journalist*innen besteht darin jedoch eine doppelte Schwierigkeit. Um Männlichkeit als normierte Machtstruktur überhaupt kritisieren zu können, müssen sie sie zunächst erkennen und beschreiben können. Hierfür ist eine weitere Sensibilisierung für die Perspektive Männlichkeitskritik nötig. Gleichzeitig steht das System Journalismus selbst in einem Abhängigkeitsverhältnis zu Macht und eben auch zu Männlichkeit, weil Macht wiederum mit Männlichkeit eng verbrüdert ist. Eine macht- wie männlichkeitskritische Auseinandersetzung würde für den Journalismus eine (schmerzhafte) Selbstkritik bedeuten, die das eigene System in Frage stellen würde. Ziel eines Systems ist es jedoch, sich selbst zu erhalten. Hier ignoriert die Katze ihren Schwanz und schaut sich vergnügt die Sportschau an. 

© Maike Stemmler
© Maike Stemmler

Die Fertigstellung dieses Textes wäre beinahe daran gescheitert, dass ich auf meine Beobachtungen noch keine vollständigen Antworten bzw. Lösungen habe. Doch vielleicht gilt es erstmal die scheinbar undurchdringliche Dreierkette Männlichkeit - Macht - Medien zu analysieren, um die richtigen Fragen zu stellen. 


  • Wie können Personen in einer öffentlichen Diskussion über Männlichkeit als (Macht-) Struktur sprechen? 

  • Welche individuellen und strukturellen Voraussetzungen braucht es dafür? 

  • Warum fällt es so schwer? Was hindert z.B. Journalist*innen daran? 

  • Was hat das Benennen von Männlichkeit individuell und gruppendynamisch zur Folge? Wie beeinflusst sie das weitere Gespräch? 

  • Wie kann mit den Konsequenzen des Benennens und der Kritik umgegangen werden? Kann überhaupt ein Umgang gefunden werden?


/Schnitt/


Der Journalismustag in Berlin geht langsam zu Ende, draußen ist es inzwischen dunkel geworden und ich sehne mich nach frischer Luft. Während ich hektisch erste Gedanken zu diesem Text in mein Notizbuch schreibe, aktualisiert Heinz neben mir zum wiederholten Male an diesem Tag den Feed der Kicker-App. Gleichzeitig steht auf der grell beleuchteten Bühne Martin, der energisch auf und abgehend über die Gefahren von Big Tech in sein übersteuertes Mikro schreit. Ich atme ein.


 

Fußnoten


*Mir ist wichtig, die Arbeit einiger Menschen zu erwähnen, die es bereits tun und damit einen entscheidenden Beitrag zur öffentlichen Debatte leisten. Danke an Asha Hedayati, Gilda Sahebi, Teresa Bücker, Samira El Ouassil, Fikri Anıl Altıntaş u.a.

** Ich verstehe diesen Text als konstruktive Kritik an der Arbeit von Journalist*innen, weil ich überzeugt bin, dass es anders geht und mir gleichzeitig druckerzeugende Umstände wie Zeitnot oder Klickzahlen der journalistischen Arbeit bewusst sind.

 
 

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