Es gibt Sätze, die werden nebenbei gesagt. Als ob sie nicht wichtig wären. „Tanz ist die Konstante in meinem Leben”, sagte ich vor einer Weile auf einem Date und schob mir noch eine Pommes in den Mund. „Es gibt wenig, was konstant ist”, antwortete sie. Ich überlege und denke: Ja, das stimmt wohl.
Warum ich das erzähle? Es erklärt den Ursprung; die Art und Weise, wie ich wahrnehme, arbeite und denke. Ich tanze seit ich vier Jahre alt bin und habe nur während meiner Studienzeit eine längere Pause gemacht. Seitdem ich im November 2021 die Ausbildung zur Tanzpädagogin bei Tanzimpulse in Köln angefangen habe, werden mir nach und nach zwei Dinge klar: Zum einen, wie sehr mir das Tanzen, die Bewegung, in der Zwischenzeit gefehlt hat, weil es ein so integraler Bestandteil meiner Biografie ist. Zum anderen, welche Potenziale die Vermittlung von Tanz für die politische Bildungsarbeit haben kann. Aber das andere nach dem einen.
Tanz ist politisch
Tanzen ist nicht nur eine individuelle Erfahrung und künstlerisch-ästhetische Ausdrucksform, sondern vereint immer auch eine politische Dimension. Dr. Anna Maria Krämer, Referentin für politische Bildung bei basa e.V., beschreibt es wie folgt:
Im Tanz finden Kämpfe um Cultural Ownership und Exotisierung, um Körperlichkeiten und Geschlecht statt. Tanz ist Ausdruck von Community- und Klassen-Kulturen. Tanz ist Teil dekolonialer Bewegungen und in der Tanzszene kämpfen Choreograph:innen und Tänzer:innen gegen die Kolonisierung und Rassifizierung ihrer Kulturen und Körper. Nicht zuletzt ist Tanz auch pädagogisches und sozialarbeiterisches Mittel.
Als eine kollektive Praxis ist Tanz eingebettet in gesellschaftliche Entwicklungen und verhandelt als performativer Akt sozialpolitische Themen - auf der Bühne sowie in den Sozialen Medien.
Bevor ich mich aber auf die praktische Umsetzung fokussiere, lohnt es sich nochmal genauer hinzusehen: Worum geht es hier noch oder eigentlich? Denn was die beiden Bereiche - Tanzpädagogik und politische Bildungsarbeit - verbindet, ist: Wissen.
Bewegung ist Wissen
Zu Beginn steht die grundlegende Frage: Wie wissen und verstehen Menschen eigentlich? Wenn wir darüber sprechen, Dinge und Zusammenhänge zu verstehen oder etwas zu wissen, bezieht sich das meistens auf eine rational-emotionale Ebene. Ich kann etwas erklären, weil ich einen Text dazu gelesen habe. Ich kann etwas beschreiben, weil ich es gesehen habe. Ich kann etwas nachsprechen, weil ich es gehört habe.
Doch dabei vergisst mensch häufig etwas - den Körper. Stefan Hirschauer (2008) setzt sich in seinem Text „Körper macht Wissen” dafür ein, den Körper in die Betrachtung von Wissen miteinzubeziehen. Er unterscheidet dabei zwischen dem Wissen „vom Körper, im Körper und am Körper” (Hirschauer 2008, 974). Mich interessieren hier vor allem die letzten beiden Wissensformen: Das Wissen im Körper, auch „wissende Körper” genannt (ebd.). Und das Wissen am Körper, auch als „Wissen kommunizierende Körper” bezeichnet (ebd.).
Wissende Körper betonen die „Wissensträgerschaft” (ebd. 977) des Körpers. Das heißt zum einen, Menschen lernen durch ihren Körper und ihre Sinne. Zum anderen ist der Körper aber auch „Träger von Praktiken” (ebd.), was bedeutet, dass Wissen zu einem großen Teil weder sprachlich noch kognitiv festgehalten ist. Menschen wissen implizit Dinge, ohne sie konkret formulieren zu können. Das Wissen ist quasi stumm.
Das Wissen am Körper fokussiert sich wiederum auf den „Körper als Kommunikationsmedium” (ebd. 978). Hirschauer geht davon aus, dass der Körper Wissen prozessiert, also verarbeitet. Dadurch wird Wissen visuell wahrnehmbar. „Personen sind Träger eines sozialen Gesichts, Interaktionen, Spiegelungsverhältnisse, Institutionen, Kulissen” (ebd.), so der Autor. Menschen kommunizieren also permanent, auch wenn sie nichts sagen. Eine prominente Rolle nimmt dabei unser Gegenüber ein: Denn, wenn mensch Verhalten als Darstellung begreift und Körper als eine Art Anzeigetafel, wie es der Soziologe Erving Goffmann (1994) beschreiben würde, liegt die Interpretation des Gezeigten in der Wahrnehmung des Anderen (vgl. auch Hirschauer 2008, 979). Meine Kommunikation, die sich durch meinen Körper ausdrückt, berührt demnach andere Menschen und findet dort einen Resonanzraum, worauf wiederum eine Reaktion folgen kann. So wachsen körperliche Anknüpfungspunkte, um gemeinsam in den Austausch zu kommen.
Zwischenfazit an dieser Stelle: Menschen lernen durch ihre Körper und vermitteln Wissen durch ihre Körper an andere.
Wie aber lassen sich die beiden Bereiche Tanzpädagogik und politische Bildungsarbeit nun miteinander verbinden? Und warum ergeben sie eine sinnvolle Symbiose?
Mit all diesen Fragen bin ich zum Glück nicht alleine und war deshalb Anfang Juli auf einer Fortbildung zum Thema “Gender in Movement”, organisiert von basa e.V. in der Nähe von Frankfurt am Main. Gemeinsam mit der Tänzerin und Tanzpädagogin Ewelina Zielonka näherten wir uns Körperarbeit und Tanz im Kontext der Themen Geschlechtervielfalt, (toxische) Männlichkeiten und kritische Jungen*arbeit. Gedanken entstehen in Bewegung und sie entstehen im Dialog. Wir haben uns in Gesprächen ausgetauscht und Fragen entwickelt, auf die es vielleicht noch keine abschließende Antwort gibt: Ist Tanz eine Methode? Welche Rolle spielt die körperliche Erfahrung beim Lernen und Verstehen? Wie kann der Körper in der politischen Bildungsarbeit (weiter) mitgedacht werden? Wie viel Struktur braucht die Beschäftigung mit ernsten Themen? Wie verändern spielerische Ansätze die Dynamik und das Miteinander?
Tanz bietet in seiner künstlerischen Auseinandersetzung mit sozialpolitischen Themen nicht nur eine Projektionsfläche, sondern ermöglicht auch eine Reflexionsebene, die den Körper ganzheitlich mit einbezieht. In dem Vierklang aus Theorie, Dialog, Handlung und Bewegung entstehen erweiterte Möglichkeiten des Verstehens, die dazu einladen, Lernen zu verlernen.
Was bringt Tanz der politischen Bildungsarbeit?
Insbesondere Tanzimprovisation, Körperarbeit und Bewegungsforschung fördern bestimmte Qualitäten, die auch für die politische Bildungsarbeit von Bedeutung sein können. Die Herangehensweisen sind ergebnisoffen und prozessorientiert. Dinge entstehen, indem mensch sie tut. Es hilft dabei, im Moment zu bleiben. Dem Körper zuzutrauen, Ausdrucksformen und Lösúngen zu finden. Erfahrungen zu machen und Veränderungen zu spüren. Es geht ums Zuhören und Respekt, sich aufeinander einlassen, Konsens und Vertrauen. Begriffe, die häufig theoretische Worthülsen bleiben, können durch gezielt angeleitete Übungen, erfahr- und spürbar werden. Sie stärken die Verbindung zum eigenen Körper und die Verbundenheit zu anderen Menschen.
Im Miteinander werden in Bewegung Kraft- und Hierarchieverhältnisse ausgelotet, die eigene Präsenz im Raum reflektiert, Bewegungsmuster hinterfragt, Empathie und Zugewandtheit kultiviert. Tanz als nonverbale Kunstform schafft einen Lernraum, der ohne Worte auskommt und dadurch auch barrierefreier sein kann, als es die Sprache allein ist.
Mein Wunsch ist es, gemeinsam mit anderen interessierten Menschen den Tanz und die Vermittlung von Tanz verstärkt in die politische Bildungsarbeit zu bringen. Ein kollektives Einlassen darauf, dass körperliche Prozesse neue Erkenntnisse generieren. Denn „Körper [gehören] ins Zentrum von Utopien”, fordert auch die Autor*in Şeyda Kurt (2021). Dabei ist mir ein möglichst inklusiver und diskriminierungskritischer Ansatz wichtig. Let the journey unfold. Vom Körper in den Kopf.
PS: Es gab übrigens kein zweites Date. Aber dafür jetzt diesen Text.
Quellen und weiterführende Informationen:
→ Goffman, Erving (1994): Die Interaktionsordnung, in: „Interaktion und Geschlecht”, Frankfurt am Main: Campus Verlag.
→ Hirschauer, Stefan (2008): Körper macht Wissen: Für eine Somatisierung des Wissensbegriffs (2008). Verfügbar unter: https://d-nb.info/1192018079/34
→ Kurt, Şeyda (2021): Radikale Zärtlichkeit, Hamburg: HarperCollins.
→ Krämer, Anna (2022): https://www.politischebildung-basa.de/veranstaltungen/politics--dance/
→ „Politische Dimensionen der Tanzvermittlung - Wie setzen wir uns in Bewegung?” Verfügbar unter: https://aktiontanz.de/wp-content/uploads/2020/05/AktionTanz_DOK_FINAL_WEB_2.pdf
→ Tanz und Demokratieentwicklung https://aktiontanz.de/demokratieentwicklung-2/
→ https://www.politischebildung-basa.de/veranstaltungen/bildungsstatte-alte-schule-anspach-neu-anspach
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